Grüne canceln Bismarck (The Pioneer Briefing Economy Edition von Gabor Steingard)
Im deutschen Außenministerium wird Tabula rasa gemacht. Otto von Bismarck, der Reichsgründer, muss das Haus im Streit verlassen. Seine Bilder und sein Name sind unerwünscht. Das „Bismarck-Zimmer“ wird umbenannt in „Saal der deutschen Einheit“. Der Eiserne Kanzler und erste Außenminister des Deutschen Reiches gilt fortan nicht mehr als große Persönlichkeit der Geschichte, sondern als Persona non grata.
Unter Führung von Annalena Baerbock wird damit jener Kulturkampf fortgeführt, den Bismarck in seiner Zeit begonnen hatte. Nur das politische Vorzeichen hat sich verändert und die Methoden – das allerdings darf nicht bestritten werden – sind humaner geworden.
Der konservative Monarchist kommt postum in den Genuss einer feministischen Außenpolitik, sodass ihm noch in der Ablehnung eine Sanftheit zuteil wird, die er seinen Gegnern stets verweigert hatte. Seine Spezialität war eine gut inszenierte Unbeherrschtheit – oder wie er 1871 an seine Frau schrieb:
"Ich habe das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen. “
Bismarck arbeitete – als er sein „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” erließ – mit Zensur, Schikanen und Gefängnis, wobei er die Immunität der frei gewählten SPD-Reichstagsabgeordneten allerdings unangetastet ließ. Annalena Baerbock ihrerseits lässt zwar Bilder und Namensschilder abtransportieren, aber keine Menschen. Vielleicht entsteht aus genau diesem Missverhältnis in der Wahl der Waffen das Bedürfnis nach verspäteter Rache. Auch Annalena Baerbock will sich spüren – und manchmal gern Bombe sein.
Doch wir sollten den Rachegelüsten nicht nachgeben. Gerade im historischen Abstand könnten wir großzügiger und reflektierter sein als die Zeitgenossen.
Natürlich wird die Ambivalenz gegenüber einer historischen Figur wie Bismarck niemals verschwinden: In der damaligen Zeit hätte sich ein moderner, liberal denkender Freigeist notgedrungen im Widerstand gegen Bismarck befunden. Oder persönlicher noch gesagt: Von ihm zu mir hätte keine Brücke geführt.
Im Rückblick allerdings müssen wir Bismarck nicht mehr bekämpfen. Die Geschichte hat uns eine große Brücke gebaut, die zum Verstehen und von dort zu Bismarck führt. Seine Sozialistengesetze, mit denen er die aufstrebende Sozialdemokratie zum Freiwild erklärte, waren ethisch verwerflich und politisch unklug. Den Aufstieg der SPD konnte er damit nicht verhindern.
Seine Erfolge, deren segensreiche Wirkungen bis in die Gegenwart reichen, können durch diese Verfehlung zwar relativiert, aber nicht zerstört werden. Sie weisen ihn als einen Staatsmann in Übergröße aus, dessen Leistung mit einer Art Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Er verdient das, was Olaf Scholz im Wahlkampf jedem Mindestlöhner versprochen hat: Respekt.
1. Die Reichsgründung von 1870/71 war sein Werk. Endlich wurden die vielen Fürstentümer und Königreiche zu einem staatlichen Ganzen komprimiert. Nach allen anderen Nationalstaaten in Europa entstand Deutschland, „die verspätete Nation“, wie Helmuth Plessner sie nannte.
Die europäische Welt war beeindruckt und besorgt. Sebastian Haffner wusste warum: „An die Stelle eines großen Schwammes war gewissermaßen ein großer Betonklotz getreten – ein furchteinflößender Betonklotz, aus dem sehr viele Kanonenrohre ragten.“
Es entstand ein Territorium mit bald auch einheitlicher Zoll- und Steuergesetzgebung, der deutschen Beamtenschaft und dem größten Binnenmarkt, den Europa bis heute gesehen hat. Kurz und gut: Das Pfund, mit dem die heutigen Politiker in Brüssel und Washington wuchern, hat Bismarck für sie eingezahlt.
2. Otto von Bismarck – und nicht Hubertus Heil – ist der Begründer des deutschen Sozialstaates. Er gründete 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Invalidenversicherung und die beitragsfinanzierte Rentenversicherung. Sozialdemokraten und Sozialisten ließ er verfolgen. Aber ihre Anhänger und Wähler wollte er zur Mitarbeit an dem neuen deutschen Staat bewegen:
"Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte. “
Er wollte die innere Aussöhnung der alten Mächte von Klerus und Adel mit der neu entstehenden Arbeiterklasse. Er wollte, wie er sich ausdrückte, das „Bündnis zwischen Rittergut und Hochofen“.
3. Sein Meisterstück aber lieferte er in der Außenpolitik ab, die von Angstzuständen und nicht von Machtgelüsten getrieben war. Bismarck hatte Angst vor der sozialistischen Weltrevolution. Er hatte Angst davor, vom zaristischen Russland überrannt zu werden. Er hatte Angst vor Frankreich, das er als „Erbfeind“ bezeichnete. Er fürchtete nichts mehr, als dass sich die anderen Mächte gegen das Deutsche Reich verbünden könnten.
Aus dieser Angst heraus entwickelte er eine Diplomatie, die auf Stabilität und Balance ausgerichtet war. Er suchte – anders als der spätere Kaiser Wilhelm II. – nicht „den Platz an der Sonne“. Reichskanzler Bismarck suchte für Deutschland einen Platz im Schatten.
„Wir gehören“, sagte er in seiner Reichstagsrede vom 11. Januar 1887, „zu den saturierten Staaten. Wir haben keine Bedürfnisse, die wir durch das Schwert erkämpfen könnten.“ Deshalb schuf er ein komplexes Bündnissystem, das aus Freundschaftspakten, Rückversicherungsverträgen und Neutralitätsverpflichtungen bestand.
Das 1871 gegründete Deutsche Reich suchte unter Bismarck, der bis 1890 im Amt des Reichskanzlers blieb, den Ausgleich mit seinen Nachbarn. Er, der das Auswärtige Amt noch vor dem Reich gegründet hatte und als erster Außenminister dort einzog, war der große Friedliche seiner Zeit – auch wenn er sich zu einem kurzen Ausflug in den Kolonialismus verleiten ließ. Die wahren Brutalisten, Kaiser Wilhelm II. und später dann Adolf Hitler, folgten, nachdem er abgedankt hatte.
Bismarck, der kein Diktator war, sondern ein jederzeit vom Kaiser abrufbarer preußischer Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler, regierte knapp zwanzig Jahre und hielt Europa in der Balance. Er tat das, wie Haffner schwärmerisch feststellte, „mit einer Kunst, die zum Schluss schon in Akrobatik umschlug“.
Fazit: Vielleicht mag sich Außenministerin Annalena Baerbock über Weihnachten die Zeit nehmen, in das Leben und Denken eines Otto von Bismarck tiefer einzutauchen. Vielleicht spricht er dann in mäßigender Absicht auch zu ihr. Zum Beispiel diesen Satz:
"Ein großer Staat regiert sich nicht nach Parteiansichten. “
Bildquelle: Media Pioneer Publihing AG / Imago images
Im deutschen Außenministerium wird Tabula rasa gemacht. Otto von Bismarck, der Reichsgründer, muss das Haus im Streit verlassen. Seine Bilder und sein Name sind unerwünscht. Das „Bismarck-Zimmer“ wird umbenannt in „Saal der deutschen Einheit“. Der Eiserne Kanzler und erste Außenminister des Deutschen Reiches gilt fortan nicht mehr als große Persönlichkeit der Geschichte, sondern als Persona non grata.
Unter Führung von Annalena Baerbock wird damit jener Kulturkampf fortgeführt, den Bismarck in seiner Zeit begonnen hatte. Nur das politische Vorzeichen hat sich verändert und die Methoden – das allerdings darf nicht bestritten werden – sind humaner geworden.
Der konservative Monarchist kommt postum in den Genuss einer feministischen Außenpolitik, sodass ihm noch in der Ablehnung eine Sanftheit zuteil wird, die er seinen Gegnern stets verweigert hatte. Seine Spezialität war eine gut inszenierte Unbeherrschtheit – oder wie er 1871 an seine Frau schrieb:
"Ich habe das dringende Bedürfnis, eine Bombe zu sein und zu platzen. “
Bismarck arbeitete – als er sein „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie” erließ – mit Zensur, Schikanen und Gefängnis, wobei er die Immunität der frei gewählten SPD-Reichstagsabgeordneten allerdings unangetastet ließ. Annalena Baerbock ihrerseits lässt zwar Bilder und Namensschilder abtransportieren, aber keine Menschen. Vielleicht entsteht aus genau diesem Missverhältnis in der Wahl der Waffen das Bedürfnis nach verspäteter Rache. Auch Annalena Baerbock will sich spüren – und manchmal gern Bombe sein.
Doch wir sollten den Rachegelüsten nicht nachgeben. Gerade im historischen Abstand könnten wir großzügiger und reflektierter sein als die Zeitgenossen.
Natürlich wird die Ambivalenz gegenüber einer historischen Figur wie Bismarck niemals verschwinden: In der damaligen Zeit hätte sich ein moderner, liberal denkender Freigeist notgedrungen im Widerstand gegen Bismarck befunden. Oder persönlicher noch gesagt: Von ihm zu mir hätte keine Brücke geführt.
Im Rückblick allerdings müssen wir Bismarck nicht mehr bekämpfen. Die Geschichte hat uns eine große Brücke gebaut, die zum Verstehen und von dort zu Bismarck führt. Seine Sozialistengesetze, mit denen er die aufstrebende Sozialdemokratie zum Freiwild erklärte, waren ethisch verwerflich und politisch unklug. Den Aufstieg der SPD konnte er damit nicht verhindern.
Seine Erfolge, deren segensreiche Wirkungen bis in die Gegenwart reichen, können durch diese Verfehlung zwar relativiert, aber nicht zerstört werden. Sie weisen ihn als einen Staatsmann in Übergröße aus, dessen Leistung mit einer Art Ewigkeitsgarantie ausgestattet ist. Er verdient das, was Olaf Scholz im Wahlkampf jedem Mindestlöhner versprochen hat: Respekt.
1. Die Reichsgründung von 1870/71 war sein Werk. Endlich wurden die vielen Fürstentümer und Königreiche zu einem staatlichen Ganzen komprimiert. Nach allen anderen Nationalstaaten in Europa entstand Deutschland, „die verspätete Nation“, wie Helmuth Plessner sie nannte.
Die europäische Welt war beeindruckt und besorgt. Sebastian Haffner wusste warum: „An die Stelle eines großen Schwammes war gewissermaßen ein großer Betonklotz getreten – ein furchteinflößender Betonklotz, aus dem sehr viele Kanonenrohre ragten.“
Es entstand ein Territorium mit bald auch einheitlicher Zoll- und Steuergesetzgebung, der deutschen Beamtenschaft und dem größten Binnenmarkt, den Europa bis heute gesehen hat. Kurz und gut: Das Pfund, mit dem die heutigen Politiker in Brüssel und Washington wuchern, hat Bismarck für sie eingezahlt.
2. Otto von Bismarck – und nicht Hubertus Heil – ist der Begründer des deutschen Sozialstaates. Er gründete 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1889 die Invalidenversicherung und die beitragsfinanzierte Rentenversicherung. Sozialdemokraten und Sozialisten ließ er verfolgen. Aber ihre Anhänger und Wähler wollte er zur Mitarbeit an dem neuen deutschen Staat bewegen:
"Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte. “
Er wollte die innere Aussöhnung der alten Mächte von Klerus und Adel mit der neu entstehenden Arbeiterklasse. Er wollte, wie er sich ausdrückte, das „Bündnis zwischen Rittergut und Hochofen“.
3. Sein Meisterstück aber lieferte er in der Außenpolitik ab, die von Angstzuständen und nicht von Machtgelüsten getrieben war. Bismarck hatte Angst vor der sozialistischen Weltrevolution. Er hatte Angst davor, vom zaristischen Russland überrannt zu werden. Er hatte Angst vor Frankreich, das er als „Erbfeind“ bezeichnete. Er fürchtete nichts mehr, als dass sich die anderen Mächte gegen das Deutsche Reich verbünden könnten.
Aus dieser Angst heraus entwickelte er eine Diplomatie, die auf Stabilität und Balance ausgerichtet war. Er suchte – anders als der spätere Kaiser Wilhelm II. – nicht „den Platz an der Sonne“. Reichskanzler Bismarck suchte für Deutschland einen Platz im Schatten.
„Wir gehören“, sagte er in seiner Reichstagsrede vom 11. Januar 1887, „zu den saturierten Staaten. Wir haben keine Bedürfnisse, die wir durch das Schwert erkämpfen könnten.“ Deshalb schuf er ein komplexes Bündnissystem, das aus Freundschaftspakten, Rückversicherungsverträgen und Neutralitätsverpflichtungen bestand.
Das 1871 gegründete Deutsche Reich suchte unter Bismarck, der bis 1890 im Amt des Reichskanzlers blieb, den Ausgleich mit seinen Nachbarn. Er, der das Auswärtige Amt noch vor dem Reich gegründet hatte und als erster Außenminister dort einzog, war der große Friedliche seiner Zeit – auch wenn er sich zu einem kurzen Ausflug in den Kolonialismus verleiten ließ. Die wahren Brutalisten, Kaiser Wilhelm II. und später dann Adolf Hitler, folgten, nachdem er abgedankt hatte.
Bismarck, der kein Diktator war, sondern ein jederzeit vom Kaiser abrufbarer preußischer Ministerpräsident und deutscher Reichskanzler, regierte knapp zwanzig Jahre und hielt Europa in der Balance. Er tat das, wie Haffner schwärmerisch feststellte, „mit einer Kunst, die zum Schluss schon in Akrobatik umschlug“.
Fazit: Vielleicht mag sich Außenministerin Annalena Baerbock über Weihnachten die Zeit nehmen, in das Leben und Denken eines Otto von Bismarck tiefer einzutauchen. Vielleicht spricht er dann in mäßigender Absicht auch zu ihr. Zum Beispiel diesen Satz:
"Ein großer Staat regiert sich nicht nach Parteiansichten. “
Bildquelle: Media Pioneer Publihing AG / Imago images